Im Porträt

Torsten Puls

Lieber Torsten, nach der Schulzeit bist Du ein Jahr lang durch die Welt gereist. Wie hat Dich diese Zeit geprägt?
Nach dem Abitur bin ich 1989 mit der Gitarre in der Hand den klassischen Hippie-Trail auf dem Landweg bis Indien gereist. Obwohl ich auch schon in den Jahren davor als Straßenmusiker in Deutschland und Italien unterwegs gewesen war, hat mir erst die Begegnung mit den islamischen und buddhistisch-hinduistischen Kulturen Asiens die Bedingtheit meiner eigenen kulturellen und christlichen Prägung bewusst gemacht. Auf den Fall der Berliner Mauer habe ich übrigens in Varanasi am Ganges mit einer am Tag zuvor angekommenen Berlinerin mit einer Flasche Sekt angestoßen.

Du hast Archäologie studiert und bist dann Musiker geworden. Was hat das eine mit dem anderen zu tun – und vermisst du nicht manchmal das Graben in alten Ruinen?

Während meines Archäologiestudiums habe ich die Erfahrungen meiner Weltreise einbringen und erweitern können. Auch die Interpretation archäologischer und historischer Zeugnisse ist eine Übung in der Begegnung mit dem Anderen und Fremden. Ich durfte zwei Jahre lang in einem antiken Weltwunder, dem Artemistempel von Ephesos, einen Teil der Ausgrabungen leiten, wofür ich sehr dankbar bin. Tatsächlich hat die echte Archäologie aber nur wenig mit einem Indiana-Jones-Abenteuer zu tun. Ich habe es nie bereut, Archäologie studiert zu haben, auch wenn ich mich danach entschieden habe, meiner noch größeren Leidenschaft, der Musik, zu folgen. Bis heute arbeite ich nebenbei als Reiseleiter und Museums- und Stadtführer. Mit vielen ArchäologInnen im Mittelmeerraum bin ich eng befreundet und besuche sie häufig. Wie die Archäologie als Wissenschaft verstehe ich auch das Musikmachen vorrangig aus der Perspektive der Kommunikation. Beides hat damit zu tun, "etwas zur Sprache zu bringen“ und „einem Menschen Gehör zu verleihen“. Dabei freue ich mich, wenn aus dem Beitrag aller - auch der Zuhörer - ein gemeinsames Erlebnis wird. Deshalb mag ich besonders mein „LieblingsLieder“-Programm, bei dem ich mit dem Publikum gemeinsam singe, wohl eine Prägung aus meiner Zeit als Straßenmusiker.

Wie geht es dir als Musiker in Corona-Zeiten? Gibt es etwas, das dir Hoffnung macht?
Gerade in einer Zeit der weltweiten Krise wird mir deutlich, wie ungeheuer privilegiert ich als Deutscher in Berlin in einer schönen großen Wohnung mit meiner Familie lebe. Wir können es uns leisten, täglich aus gefüllten Supermarktregalen auszuwählen, was wir essen wollen, können zweimal in der Woche am gegenüberliegenden Ufer auf den Markt gehen, und auch einzelne Zimmer unserer Wohnung renovieren. Natürlich vermisse ich es, auf der Bühne zu stehen und Konzerte zu geben. Aber die Lockdown-Zeiten ermöglichen es uns auch, mit Abstand zu prüfen, ob wir weiterhin wie bisher leben wollen, jeder für sich und als Gemeinschaft. Das finde ich sehr wertvoll. Anders als viele KollegInnen werde ich durch die Corona-Hilfsmaßnahmen ausreichend unterstützt. Dafür bin ich dankbar, auch wenn die Krise zeigt, wie wenig gesellschaftliche Anerkennung KünstlerInnen und MusikerInnen auch heute noch bekommen. Es ist für die Kultur einer Gesellschaft fatal, wenn unsere Tätigkeiten in der Öffentlichkeit nicht als Berufstätigkeit wahrgenommen werden. Ich habe die Zeit genutzt, mein Home-Recording-Studio auszubauen und viel zu Hause aufzunehmen. Es ist fantastisch, dass wir Musiker uns heute weltweit Instrumentalspuren zusenden können. Gerade hat ein Freund, der auf der griechischen Insel Naxos wohnt, für die Songs meiner neuen CD den Kontrabass eingespielt. Auch mit meinen Bands nehme ich so zurzeit ganze Alben auf.

Was verbindet dich mit unserer Kirchengemeinde?
Seitdem meine Frau und ich 1998 in unsere erste gemeinsame Wohnung in die Graefestraße zogen, gehören wir zur Melanchthon-Gemeinde. Auch als wir später die Kanalseite wechselten, sind wir in der Melanchthon-Kirche geblieben. Pfarrer Bergerhoff hat uns getraut, allerdings romantisch am Wannsee in St. Peter und Paul in Nikolskoe. Unsere beiden Kinder wurden in Melanchthon getauft, gingen später zu Evi Schauer in den Kindergarten und wurden von Pfarrer Schmidt konfirmiert. In besonderer Erinnerung sind mir die Krippenspiele geblieben, bei denen unsere Kinder gerne mitmachten. Unvergessen, wie ich meinen kleinen Sohn erst im allerletzten Moment davon abhalten konnte, während der Aufführung ausgerechnet im Weihnachtsmannkostüm zu seinem Bruder auf die Bühne zu springen, um mitzuspielen. Gottesdienste, Kindergartenfeste und den jährlichen Laternenumzug begleite ich musikalisch mit Gitarre, Klavier und sehr selten sogar auch an der Orgel. Zweimal im Jahr darf ich für meine Gitarrenworkshops die Gemeinderäume nutzen, wofür ich sehr dankbar bin. Regelmäßig spiele ich bei den großartig von Mariola Maxelon organisierten Gartenkonzerten in St. Jacobi und singe am Johanni-Feuer.

Du hast mir von einer Gemeindefreizeit in Norditalien erzählt. Was blieb dir davon besonders positiv in Erinnerung?
Im Alter von zwölf Jahren bin ich mit meiner Familie das erste Mal in den Süden, nach Italien gefahren. Im Rahmen einer Gemeindefreizeit ging es danach alle zwei Jahre nach „Il Castagneto“ in den piemontesischen Waldensertälern. Gegründet von einem französischen Pazifisten und seiner Berliner Frau als christliche Begegnungsstätte vereint dieser Ort für mich bis heute das, was ich an christlicher Gemeinschaft mag: Fröhlichkeit, Lebendigkeit, Spiritualität, Emotionalität, politische und gesellschaftliche Verantwortung, Austausch zwischen den Generationen und prägende Lebenserfahrungen. Gemeinsames Singen, Beten, offene Gespräche, Wanderungen und Bergtouren als Grenz- und manchmal auch Gotteserfahrung. Vielleicht wollen wir als Gemeinde auch einmal dorthin?

Deine Frau und Du, Ihr habt Euch im vergangenen Februar noch einmal das Jawort gegeben und den Segen zusprechen lassen. Welche Bedeutung hatte diese Bekräftigung Eurer Trauung vor 19 Jahren?
Für uns war dieser erneute Segen unserer Ehe sehr wichtig. Verglichen mit dem „ersten Mal“ kam es uns diesmal, gewissermaßen „volljährig“ geworden, darauf an, uns nur voreinander und vor Gott zu uns zu bekennen. Da galt es nicht, ein rauschendes Fest zu feiern und möglichst viele Gäste einzuladen. Diesmal waren im Gottesdienst allein unsere beiden Kinder und natürlich die Gemeinde dabei. In gewisser Weise war es für uns unsere eigentliche Hochzeit.

Welches Lieblings-Kirchenlied magst Du besonders und welche Bibelstelle ist Dir wichtig?
Mozarts Requiem durfte ich das erste Mal als Student in Wien singen. Seitdem steht diese Musik für mich besonders eindrücklich für das Ringen um die Nähe zu Gott bis hin zur Wut über die zwischenzeitliche Vergeblichkeit dieses Bemühens. - „Möge die Straße“ schafft es immer, mich zu Tränen zu rühren. In den Andachten in Norditalien gefallen mir die gesungenen Taizé-Gebete. Das Vaterunser beinhaltet das, was für mich Glauben ausmacht, „Dein Wille geschehe“ ist mein größter Halt und Trost. Jesus im Garten Gethsemane ist für mich der menschlichste Mensch.

Lieber Torsten, ich danke Dir für das Gespräch.
Mit Torsten Puls sprach Pfarrer Christoph Heil.