Warum bei uns das Christkind kommt

Warum bei uns das Christkind kommt

Warum bei uns das Christkind kommt

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Warum bei uns das Christkind kommt

Von Tillmann Prüfer

Bei uns kommt das Christkind. Ich weiß, dass ich das Martin Luther zu verdanken habe. Er war es, der einst dagegen opponierte, dass die Kinder am St. Nikolaus-Tag beschenkt wurden. Also dem Feiertag eines katholischen Heiligen. Luther hingegen propagierte den „Heiligen Christ“, an dessen Geburtstag man einander beschenken sollt. Und daraus wurde schließlich das Christkind. Jene Figur, die irgendwie das Jesuskind symbolisiert und gleichzeitig aber eine Art Engelsfigur darstellt. Das Christkind hat nur einen Arbeitstag im Jahr, das ist Heiligabend. Das Problem: Das Christkind macht seinen Job nicht. Ich mache ihn. Ein Heiligabend läuft bei uns so ab: Meine Frau geht mit den Kindern zum Krippenspiel. Das ist stets am Nachmittag – und da unsere Kinder seit jeher genötigt werden, darin auch eine Rolle zu übernehmen (gerne Verkündigungsengel, aber bei geringem Engagement einfach auch nur Schaf), muss man auch pünktlich da sein. Ich sage dann stets, dass ich gleich nachkomme und nur noch irgendetwas zu schaffen habe. 

Sobald die Familie durch die Tür ist, muss ich loslegen. Ich zerre den Weihnachtsbaum vom Balkon ins Wohnzimmer und tue mein Bestes, dass er dort irgendwie gerade zum Stehen kommt. Dann mache ich die diversen Weihnachts-Kartons auf, in denen der Christbaumschmuck und die Kerzen sind und behänge in Windeseile den Baum. Dabei fällt immer mindestens eine Kugel herunter und geht kaputt, ich fluche. Es hört sich bestimmt nicht sehr besinnlich an. Dann dekoriere ich die Krippe, auch das muss sehr schnell gehen, irgendwie stauche ich Maria, Josef, das Kind, die Hirten, diverse Schafe und die drei heiligen Könige an ihren Platz. Dann schaffe ich die Geschenke herbei und verteile sie um den Baum herum. Dann bin ich fertig und eile zum Krippenspiel, von dem ich stets nur die letzten Takte mitbekomme. Wenn ich ankomme, bin ich komplett KO. Immer sind meine Kinder beleidigt, dass ich getrödelt habe, immer sage ich, dass es mit sehr leidtut.

Warum ich diesen Aufwand mache? Weil ich unbedingt will, dass alles plötzlich wie von Zauberhand da steht, wenn die Familie nach Hause kommt. So stelle ich mir das Weihnachts-Wunder vor. Eben war da noch ein karges Wohnzimmer und plötzlich ist alles im Lichterglanz, als wäre ein kleines Wunder passiert.

Das ist für mich eigentliche das Wichtigste am Glauben. Dass man Platz im Herzen behält für das Unwahrscheinliche, Übersinnliche. Dass man ein Bewusstsein dafür hat, dass es mehr gibt, als das, was die Augen sehen können. Und wie soll man das als erwachsener Mensch spüren, wenn man es als Kind nicht kann? Für mich bedeutet Weihnachten Verwandlung. Aus der Tristesse wird ein Schillern und Scheinen, aus dem Dunklen wird Hell, aus der Trostlosigkeit wird Geborgenheit. Viele sagen, an Weihnachten sind nicht die Geschenke das Wichtigste. Ich finde das auch. Das Wichtigste ist das Vertrauen darauf, dass man immer auf die Wendung zum Guten hoffen kann, auch wenn nichts Sichtbares darauf hindeutet.

Ich kenne Eltern, die damit hadern, ihren Kindern etwas vorzumachen, wenn sie von Christkind, von Weihnachtsmann oder den Wichteln erzählen. Ich sehe das anders. Ich erzähle meinen Kindern, davon, dass es möglicherweise ein Christkind gibt, dass es möglicherweise etwas unwahrscheinlich Gutes gibt. Etwas Unbegreifliches, an das sie glauben können. Eltern sagen heute gern, dass sie ihren Kindern lieber beibringen wollen, an sich selbst zu glauben. An sich selbst glauben zu können, ist gut. Aber in jeder Situation daran glauben zu wollen, man selbst könne sie Dinge beherrschen, ist eine hohe Hypothek. Wer kann schon so sehr an sich selbst glauben. Ich will, dass meine Kinder an mehr glauben können.  

Natürlich wissen meine Kinder längst, dass ich, während sie beim Krippenspiel sind (die älteren spielen da auch schon nicht mehr mit), mit aller Kraft m Wohnzimmer wirbele. Sie lassen sich aber nichts anmerken, nie. Und möglicherweise hat mir das Christkind ja geholfen. Wer weiß. Irgendetwas muss es ja auch tun an Weihnachten, finde ich.  

Tillmann Prüfer ist Journalist und GKR-Mitglied

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