27/08/2024 0 Kommentare
Kirche und Klima - Warum sich die Evangelische Kirche einmischt
Kirche und Klima - Warum sich die Evangelische Kirche einmischt
# BOTIN_NEWS

Kirche und Klima - Warum sich die Evangelische Kirche einmischt
Immer wieder kommt es zur Kritik an der Evangelischen Kirche, sie würde sich zu stark zu politischen Themen äußern. Vor sechs Jahren löste Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt eine hitzige Debatte aus, weil er schrieb, manche evangelische Predigten glichen eher einer „verhinderten Wahlkampfrede vor dem Biomarkt“. In den sozialen Medien entbrannte die Diskussion: „Wie links-grün-versifft sind Weihnachtspredigten?“ Auch die evangelischen Kirchentage stehen in konservativen und rechten Kreisen in der Kritik, weil sie „von grünen Parteitagen nur schwer zu unterscheiden“ wären.
Tatsächlich gehört der Klimawandel zu den Schwerpunktthemen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) – neben dem Frieden in Nahost und Armut. Warum also äußert sich die Evangelische Kirche zu gesellschaftspolitischen Themen? Welche theologische Begründung gibt es dafür?
Natürlich geht es in der Kirche in erster Linie um Theologie, Verkündigung, Predigt, Pflege der Spiritualität, Nächstenliebe, Herzensbildung und heilsame Gemeinschaftserfahrungen. Aber bei all dem geht es ja gerade darum: um das Verhältnis zwischen Gott, Mensch und Welt, also um die Frage, welche Auswirkungen das Nachdenken über Gott auf den Alltag und das Leben in der Gemeinschaft hat. Wir reden vom „Glauben, der durch die Liebe tätig ist“ (Galater 5,6). Und „Glaube ohne Umsetzung in der Praxis ist tot“ (Jakobus 2,26). Theologie und Predigt kann also nicht unpolitisch sein. Sie muss sich zu Fragen der Zeit äußern.
Die Bibel erzählt, dass Gott selbst parteiisch ist. Schon im Alten Testament mahnen die Propheten Amos und Jesaja, den Gottesdienst nicht losgelöst von dem gesellschaftlichen Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden zu sehen. Altes und Neues Testament erzählen von Hoffnung auf das Leben gegen den Tod, auf Freiheit statt Unterdrückung, auf Frieden statt Gewalt, auf Gerechtigkeit statt maßlosem Anhäufen von Besitz.
Seit der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) 1983 bezeichnet man den gemeinsamen Lernweg der Kirchen zu „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ als „Konziliaren Prozess“. Der Schutz der Umwelt war hier von Anfang an mitgedacht. Warum? Weil nach den biblischen Schöpfungsberichten die Menschen als Ebenbilder Gottes berufen sind, die Erde als bewohnbaren Lebensraum zu bebauen und zu bewahren (Genesis 2,15). Gott hat mit Noah einen Bund geschlossen, dessen Zeichen der Regenbogen ist (Genesis 9,12–17): „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht" (Genesis 8,22). In einem Psalm heißt es: „Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen" (Psalm 24,1). In einem anderen Psalm wird die Schönheit der Schöpfung Gottes besungen: „Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich …" (Psalm 104,1–2).
Wir wissen: Unser Glaube an Gott führt zu einer Haltung der Dankbarkeit und Demut, die sich an der Schöpfung freut und in Achtsamkeit ihr gegenüber lebt. Der Apostel Paulus schreibt später im Brief an die Gemeinde in Rom, dass die ganze Schöpfung in das erneuernde und befreiende Heilshandeln Gottes einbezogen ist. Ihr wird Erlösung, also die Befreiung von Unterdrückung verheißen (Römer 8,21). Und dann gibt es in der Bibel die Vision von einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ (Jesaja 65,17-25; Offenbarung 21,1-7). Aus all diesen Gründen treten wir als Christinnen und Christen für die Achtung und Erhaltung allen Lebens und der Erde ein.
Zum Wesen der Kirche gehört daher, sich mit politischen Stellungnahmen öffentlich zu Wort zu melden. Es war übrigens der Berliner evangelische Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), der schon Anfang der 1930er Jahre zu einem Friedenskonzil der Kirchen aufgerufen hatte. In der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, die als Bekenntnisschrift in unserem Evangelischen Gesangbuch abgedruckt ist, heißt es, dass es zur Aufgabe der Kirche gehört, an „Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit“ zu erinnern und damit an die Verantwortung von „Regierenden und Regierten“. Und eine der dringendsten Fragen unserer Zeit ist heute nun mal der Klimawandel.
Ich glaube, die Frage ist weniger, warum die Kirche zu politischen Themen bezieht. Die angemessenere und interessantere Frage ist, wie politische Anliegen so formuliert werden können, dass sie nicht nerven. Also zum Beispiel: Wer ist im Gottesdienst die Zielgruppe? Wo ist der richtige Ort, die brennenden Themen aufzuwerfen? Wer sind die Hörerinnen und Hörer einer Sonntags-Predigt? Sind es Familien in Kreuzberg oder ist es eine Hörerschaft im Bundestag? Überfordert man die Menschen im gewöhnlichen Gottesdienst mit dem Umwelt-Thema, weil sie ohnehin seit Jahrzehnten aufs Autofahren verzichten, Radfahren, fleißig Müll trennen und sich obendrein auch noch in ihrem Kiez politisch und für das Allgemeinwohl engagieren. Und die Predigt muss ja nicht mit der Tagesschau konkurrieren. In jedem Fall können in den Fürbitten politische Anliegen Raum finden.
Als Gemeindekirchenrat denken wir kontinuierlich darüber nach, wie wir als Gemeinde unseren Teil zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung des Klimas beitragen. Wir beteiligen uns an Projekten zur Klimaneutralität der Kirche, betreiben Sozialwohnungen im Rahmen unserer wirtschaftlichen Kräfte und trinken fair gehandelten Kaffee. Auf dem Dach einer unserer Kirchen befindet sich ein Solardach, das leider so alt ist, dass der Ertrag nicht mit einem modernen Balkon-Kraftwerk mithalten kann. Die Ressourcen sind knapp, aber der Wille ist da. Gleiches gilt für den Kirchenkreis und die Landeskirche, zu der wir gehören. Und die EKD als „Dachverband aller evangelischer Landeskirchen“ hat ein Vertretungsbüro in Brüssel und setzt sich dort – am nächsten an den politischen Entscheidungsträgern – für mehr Nachhaltigkeit und für eine sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft ein, zugunsten künftiger Generationen. Dafür findet man im Internet viele kluge Beispiele sowie Ansprechpartnerinnen und Netzwerke.
Gerade weil wir Christinnen und Christen sind, können wir als Kirche nicht anders als zu gesellschaftlichen und politischen Themen unsere Stimme zu erheben. Es kommt aber darauf an, an der richtigen Stelle den angemessenen Ton zu finden, damit unser Votum offene Ohren und Herzen findet.
Christoph Heil, Pfarrer
Kommentare